Samstag, 22. Februar 2014

Alptraum Puerto Montt - der Überfall

Meine beiden Mitbewohner sind gestern Abend erst sehr spät in das Hospedaje gekommen, haben ihre unausgepackten Sachen geschnappt und draußen ihr Zelt aufgebaut. Ob das geplant war oder nicht, mir haben sie es nicht erzählt. Jedenfalls hatte ich das Zimmer für mich alleine, und nachdem der Lärm draußen weniger wurde, konnte ich auch ganz gut schlafen. Zum Frühstück gab es Brötchen mit Marmelade  und Butter sowie eine Wurst. Na ja, man hat es runterbekommen. Um 9:30 Uhr hatte ich fertiggepackt, bezahlte und dackelte so langsam zur Uferpromenade. Wenn ich euch jetzt erzähle, dass da ein Schild im Reisebüro stand, Vulkanbesteigung 9 Uhr, dann wundert ihr euch sicher genauso wenig wie ich mich. War mir inzwischen auch egal, es gab eine ganze Menge zu schauen. Da kamen erst mal 3 BMW 800 sowie eine BMW 1200 von Touratech und BMW getunt und wohl auch gesponsert. Gestartet waren sie in Malaysia, waren auch schon in München und bei TT, und danach ging es nach Buenos Aires und jetzt nach Bariloche. Der eine Typ war ganz cool, hatte sogar seinen eigenen Fotografen dabei, und der machte nicht nur mit seiner Nikon, sondern auch mit meiner einige Aufnahmen, auf denen ich auch drauf bin. Es kamen noch weitere Motorradfahrer, die ich teils auf der Fähre wiedertraf.
Irgendwann war es dann 15 Uhr, und das Verladen sollte beginnen. Allerdings mussten die LKWs erst mal ausgeladen werden, und dann die neuen rein. Wie die samt Anhänger rückwärts in die schmale Einfahrt reinkommen, kann man nur bewundern. Statt um 16 ging es dann um 17 Uhr los, und die ersten Stunden verbrachte ich trotz Wind erst mal auf dem Oberdeck und holte mir einen ganz ordentlichen Sonnenbrand. Zwischendurch hatte ich mal eine Unterhaltung mit einem deutschstämmigen Chilenen, der gerade Urlaub mit Familie gemacht hatte, natürlich mit dem Auto. Er erzählte mir, dass im Januar im Torres del Paine soviel Regen und Schnee runterkam, dass sie die Tour abbrechen mussten. Irgendwo holten wir mit dem Beiboot noch einige Passagiere ab, und um 2 Uhr nachts landeten wir endlich in Puerto Montt. Das Schiff, die Don Baldo, war mal ein griechisches Schiff, man sieht noch überall die Schrift. Die wegfahrenden Passagiere warteten schon, es war gerammelt voll, und ich wollte nur schnell zum Busterminal kommen, was nicht weit war.
Das klappte auch, nur war das Terminal geschlossen, obwohl innen Leute beim Putzen waren. Draußen waren einige Zelte aufgebaut, aber das sah mir so düster aus, da marschierte ich lieber weiter die Hauptstrasse entlang zu einer großen Bushaltestelle, wo auch Taxis warteten. Freitag Abend, es war jede Menge los in Puert Montt, viele Betrunkene, aber auch Frauen, die alleine rumliefen. Das gab mir ein sicheres Gefühl. Irgendwann musste ich dann mal in die Büsche, ging in den Park davor und nach der Erledigung meiner Bedürfnisse wieder zurück zur Strasse. Dummerweise nicht zu der großen Haltestelle von vorher, sondern eine davor. Zu der Zeit muss ich wohl schon beobachtet worden sein. Da waren nebenan ein paar Leute, die zelteten, und gegenüber einige Frauen, die sich unterhielten. Ich saß da gar nicht lang, kommen plötzlich zwei Jugendliche von vielleicht 18 bis 20 Jahren auf mich zu, und ich ahnte schon, dass die nicht nach der Uhrzeit fragen wollen. Der eine schlug mir gleich mal ins Gesicht und auf die Brille, aber dann versuchte ich zurückzuschlagen. Während ich aber mit einem beschäftigt war, nahm der andere meinen Rucksack, und nachdem ihm der zu schwer war, wollte er ihn öffnen, was ich erfolgreich verhinderte. Die ganze Zeit kamen sonst Autos, jede Minute, ausgerechnet in diesem Moment nicht. Jedenfalls ließen die beiden nicht locker und ich lag plötzlich da, was einer dazu nutzte, meine Fototasche an sich zu raffen und über ein Gitter auf die andere Strassenseite zu hüpfen. Da kam ein Auto, dem ich wild gestikulierte, aber das fuhr einfach weiter. Und die Zeltleute und die Frauen reagierten auch nicht. Als ich mit meinen Bergschuhen hinterher wollte, stürzte ich an dem Gitter, und weg waren sie.

Als zukünftig keine Fotos mehr von mir, und anrufen kann ich auch nicht mehr. Die Samsung samt 5 Objektiven war in der Fototasche, ein paar Kabel und ein Stecker, das Handy und leider auch 3 große Speicherkarten. Aber die sind jetzt weg, das kann ich verschmerzen. Materialwert gebraucht zwar vierstellig, aber nicht viel drüber. Ich denke mal, diese Kerle werden nicht viel mehr als 100 - 200 Euro auf dem Markt für alles zusammen erzielen, und die hätte ich ihnen stattdessen gerne gegeben. Das Handy ist auf deutsch, da muss erst mal neue Software auf spanisch drauf. Und den PIN von der Karte wissen sie nicht, nützt ihnen also auch nichts. Ob die Objektive hier gut zu verwerten sind, wage ich auch zu bezweifeln. Mir selbst ist körperlich auch nicht sehr viel passiert, zwei kleine inzwischen angeschwollene Platzwunden auf der Nase unter der Brille, die Knie aufgeschürft und meine gute Wanderhose hat jetzt Löcher.
Ich hatte aber auch großes Dusel. Auf dem Schiff hatte ich nämlich meinen Bauchgurt mit Pass, anderen Papieren und 1000 Euro in meine Jacke gesteckt, um nicht jedes Mal die Fototasche mitschleppen zu müssen, wo sie sich sonst befand. Auch meine Geldbörse mit den Kreditkarten war in meiner Hose, und das Navi hatte ich in der Jackentasche.
Sollte man also meinen, das kann man wegstecken, nach ein paar Tagen ist das überwunden. Aber ehrlich gesagt, das hat meine Grundfesten erschüttert, ich bin wieder zu dem großen Platz und habe nur noch Schiß gehabt. Da kamen ständig Leute, aber bei jedem habe ich gedacht, na, will der jetzt den Rest? Den Rucksack, oder das Geld? Echt ein Scheiß-Gefühl. Jetzt habe ich ja mein Motorrad bald hier, da kann ich den Urlaub nicht eben abbrechen, aber ich werde auf jeden Fall versuchen, meinen Rückflug umzubuchen und von Arica genauso wie die andern nach Hause zu fliegen. In Peru alleine, da hätte ich nur noch Angst! Zur Not bezahle ich noch zusätzlich einen Flug.
Um 5 Uhr war der Überfall, um 6:15 Uhr wurde es hell. Zu Fuss traute ich mich da nicht mehr lang, also fragte ich einen Taxifahrer, ob das Bus-Terminal denn jetzt geöffnet sei. Er meinte ja, also ließ ich mich den einen Kilometer hinfahren .  Unterwegs erzählte ich ihm von dem Überfall, und ich hatte - wie ich im Beifahrerspiegel sah - ein ganz blutverschmiertes Gesicht. Das hörte er sich interessiert an, fragte noch, wieviele es denn gewesen seien, dann wollte er beim Aussteigen für den einen Kilometer 10000 chilenische Pesos, also umgerechnet 14 Euro, also das zehnfache dessen, was es wirklich kostet. Ich gab ihm dann 3000, und irgendwann trollte er sich. Ich fand aber auch dieses Verhalten wieder zum Kotzen, Abzocken, egal was passiert ist.

Der einzig besetzte Ticketschalter eröffnete mir, dass der nächste Bus nach Santiago am Mittwoch geht. Temuco ginge aber um 16 Uhr, dann wäre der Bus aber erst um 21 Uhr da. Ich kaufte das Ticket erst mal, denn ursprünglich wollte ich ja nach Temuco und weiter nach Pucon, um den Vulkan Villarrica zu besteigen. Aber schon wieder kurz vor der Dunkelheit, und irgendwie bin ich jetzt so verunsichert, ich will am liebsten erst mal gar nichts unternehmen. Zum Glück fand ich dann eine Busgesellschaft, die haben noch genau einen Platz nach Santiago heute Abend um 18:30 Uhr. Der Bus ist dann morgen Vormittag da,  ein Luxus-Quartier habe ich mir eben per Internet für 5 Tage gebucht. Nicht nur, dass ich mir bisher noch nie Santiago angeschaut habe, dort ist auch die beste Möglichkeit, mein Ticket umzubuchen oder ggfs. ein neues Ticket zu kaufen. Ich hoffe, dass sich dieses Angstgefühl bald wieder legt. Eins weiß ich, alleine mache ich in Chile nichts mehr. Und warm werde ich mit diesem Land und seinen Menschen auch nicht mehr. Vor 4 Jahren bei der ersten Tour war schon der Einbruch ins Auto und in das Hostal mit  großen Wertverlusten für die Betroffenen, aber das ging zumindest ohne körperliche Gewalt vonstatten. Das hier war schon noch einmal eine andere Nummer, ich hatte echte Angst um mich. Wenn das Motorrad nicht kommen würde, säße ich diese Woche noch im Flieger nach Hause. Den Witz bei der Sache finde ich, dass ausgerechnet die Chilenen, bei denen das alles passiert ist, immer behaupten, hier passiert nichts, wenn, dann nur in Argentinien, so auch wieder die beiden Radfahrer vom letzten Hostal.

Natürlich bin ich zum Teil selber schuld. Eine extra Fototasche reizt, und nachts damit und mit einem schweren Rucksack durch eine Hafenstadt zu marschieren, ist schon leichtsinnig. Ich war auch erst mal sehr vorsichtig, aber als ich dann die vielen jungen Menschen und auch junge Frauen alleine auf der Strasse gesehen habe fühlte ich mich sicher. Ich war ja in der Stadt an der Hauptstrasse entlang der Küste mit ständigem Autoverkehr. Außerdem waren in den bisherigen Orten meiner Reise die Menschen immer ganz alleine bis spätnachts unterwegs, und keiner hatte Angst oder ließ sich mit dem Taxi fahren. Irgendwie hatte ich einfach noch nicht umgeschaltet auf große böse Stadt. Wenn man um 2:30 Uhr vom Schiff kommt und um 7 Uhr ein Busticket am Terminal kaufen will, geht man nicht mehr in ein Hotel, und ich hätte auch nicht gewußt, wo eines wäre. Ich hätte am Schiffsterminal bleiben sollen, bis das zu macht, und mich dann vom Taxi an einen sicheren Ort bringen lassen sollen, aber hinterher ist man immer klüger. Und mein Leichtsinn ist auf jeden Fall für die nächsten Jahre kuriert.
Immerhin ist niemandem ernsthaft etwas passiert, und ich wollte es auch nicht drauf ankommen lassen. Als der eine der Beiden immer in seiner Jackentasche gekramt hat, dachte ich, er zückt jeden Moment ein Messer. Insofern ging es glimpflich aus. Und während ich hier im Bus-Terminal sitze, spielt einer auf dem Nachbarstuhl super Gitarre, so richtig melancholisch mit super Gefühl, das tut mir gut. Eine halbe Stunde später packt der zweite seine Tuba aus und spielt Dave Brubeck "Take Five". Und ein Cafe mit Internet gibt es auch. Macht euch mal keine Sorgen, das wird schon wieder. Um 18:30 Uhr geht der Bus.

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