Dienstag, 25. Februar 2014

Santiago

Die chilenische Hauptstadt ist ganz anders wie der Rest von Chile. Viel europäischer, moderner, Geschäftsleute im feinen Zwirn mischen sich unter die Strassenhändler, Damen tippeln auf ihren viel zu hohen Absätzen zum nächsten Modedesigner-Laden, um sich neu einzukleiden.Studenten liegen auf den Wiesen der Parkanlagen oder fahren mit ihrem Mountainbike Slalom um die Füssgänger in den vielen Fussgängerzonen zwischen Präsidentenpalast und Plaza del Armas.Am Sonntag. als ich ankam, war alles noch ruhig und beschaulich, die Avenida Providencia für Autos gesperrt und den Jogger und Radfahrern überlassen, Familien spielten auf den Grünanlagen. Seit gestern tanzt der Bär, tausende von Menschen wuseln hin und her, insgesamt 6 Millionen leben hier.
Santiago wurde 1541 gegründet, mehrmals durch die Mapuche-Indianer oder Erdbeben zerstört, aber es wuchs unaufhaltsam. 1875 waren es schon 150000 Einwohner, und mit dem aufblühenden Salpetergeschäft und dessen Geld wurden prunkvolle Bauten errichtet und immer mehr Menschen strömten hierher, inzwischen 35 % aller Chilenen. Das Parlament tagt zwar in Valparaiso, aber ansonsten liegen alle wichtigen wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Institutionen hier. Es gibt eine Metro mit fünf Linien, es gibt Busse, aber auch zu Fuss kann man das Zentrum wunderbar erlaufen. Schade, dass ich keinen Foto mehr habe, das alles zu beschreiben führte zu weit.

Mit dem Navi fand ich gestern ziemlich schnell die Vertretung von American Airlines und konnte meinen Flug von Mai auf den 13.April umbuchen. Statt von Lima geht es jetzt von Santiago nach Hause, die Trekking-Tour nach Peru entfällt. 240 US$ hat mich das gekostet, dazu kommt noch der Bus von Arica nach Santiago. Den Flug Cuzco - Lima konnte ich nicht stornieren, aber diese Verluste bin ich gerne bereit zu tragen. Noch einmal ganz alleine in den Bergen Perus, wo die sozialen Unterschiede noch viel krasser sind, das traue ich mich momentan einfach nicht.

In jedem Reiseführer und auch in den Sicherheitshinweisen der deutschen Botschaften steht, dass Chile ein relativ sicheres Reiseland ist. Bei meinen Recherchen bin ich jetzt aber auf ganz andere Daten gekommen, z.B. im Informationsportal Krieg und Frieden der Bundeszentrale für politische Bildung. Dabei wurden einzelne Länder miteinander verglichen über 10 Jahre und ein Index im Verhältnis zur Einwohnerzahl gebildet. Durchschnittlich gibt es pro 100000 Einwohner insgesamt 49 Raubüberfälle, Tendenz stark steigend. Im südlichen Afrika , das ich als relativ gefährlich einstufen würde, liegt die Rate zwischen 100 und 200, in Asien dagegen nur bei etwa 25. Die beiden Länder an der Spitze dieser Liste sind Chile mit 1276 und Argentinien mit 905 Raubüberfällen pro 100000 Einwohnern. Insbesondere die jetzt wiedergewählte Präsidentin Bachelet geriet in ihrer ersten Amtszeit unter Kritik, weil sie zu wenig gegen die sich ausbreitende Kriminalität tun würde.

Selbst Touristen, die sich klüger als ich verhalten haben, werden in Südamerika immer öfter Opfer von Gewalttätern, siehe hier oder hier.

Nachmittags war ich dann auf dem 70m hohen Cerro Santa Lucia. Hier wurde die Stadt von Pedro de Valvidia gegründet,  einige wenige der spanischen Befestigungsanlagen sind noch erhalten. In dem Park mit Wasserspielen und vielen steilen Treppen amüsieren sich heute die Liebespaare und Touristen. Von oben hat man eine fantastische Aussicht auf die Hochhäuser Santiagos und die dahinter aufragenden Berge. Mit einem kostenlosen Aufzug mit einem stoischen etwa 80-jährigen Aufzugführer ging es dann wieder runter zur Calle Huerfanos, einer der Fussgängerzonen im Herzen der Altstadt. 

Als ich mich an den Grünanlagen vor Santa Lucia sonnte,  sprach mich eine junge Frau an und unterhielt sich mit mir über meine Reise. Ich dachte immer nur, was will die, habe meinen Beutel fest umklammert und alle Minute nach dem Geldbeutel gefühlt. Dabei war das nur eine nette Studentin, jedenfalls gebildet, denn sie sprach nicht nur Englisch, sondern sogar ein wenig Deutsch. Dann verabschiedete sie sich und saß dann mit einigen  Anderen unter einem Baum. Als ich ging, rief sie mir noch "Ciao, Aleman" zu, und ein Mann aus der Gruppe kam zu mir und zeigte mir das Buch von Frank Schätzing - Limit, auf deutsch. Ob ich das kennen würde, es sei sehr schwer zu lesen. Ich dachte nur, was will der, will er mir das verkaufen? Dann zeigte er mir noch seinen Ausweis und sagte, sein Großvater sei aus Stuttgart gewesen, deshalb sein Name Bessinger. Wir haben uns dann verabschiedet, und irgendwie habe ich mich geschämt, auf diese nette freundliche Art nur mit Angst und schnell weg reagiert zu haben. Vor dem Überfall habe ich mir genau diesen Kontakt mit den Chilenen gewünscht, jetzt kann ich ihn nicht annehmen. Das ist das Schlimme, was dieser Überfall mit mir gemacht hat, nicht die paar blauen Flecken oder die gestohlene Fototasche. Denn es hindert mich daran, mich auf das Land und die Menschen einzulassen, und zu nichts anderem reist man doch, oder?

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